Boeing: Ein rabenschwarzes Jahr – Pleiten, Pech und Pannen (2024)

Als die Boeing 737 Max in rund 10.000 Meter Höhe plötzlich ins Taumeln kam, dürfte manchen Passagieren des Flugs 746 der Southwest Airlines von Phoenix nach Oakland mulmig geworden sein. »Dutch Roll« nennen Luftfahrtexperten diese Taumelschwingungen, bei denen das Flugzeug abwechselnd um die Hochachse und die Lenkachsen auslenkt.

Zum Glück bekamen die Piloten die Maschine an jenem 25. Mai wieder unter Kontrolle und konnten sie sicher landen. Allerdings wurden bei einer darauffolgenden Inspektion nach der Landung des Flugzeugs »Schäden an strukturellen Komponenten« festgestellt; unter anderem soll ein Flugzeugteil defekt sein, das für die Notstromversorgung des Seitenruders zuständig ist.

Die US-Behörde für Transportsicherheit (NTSB) hat nun bekannt gegeben, sie werde weitere Daten aus dem Flugzeug auswerten. Ihre Ankündigung rückt den Vorfall vom 25. Mai ins Rampenlicht. Und bringt Boeing, schon wieder, in die Negativschlagzeilen.

Der US-Konzern erlebt ein rabenschwarzes Jahr. Seit dem 5. Januar, als es auf dem Flug einer Boeing 737 Max der Alaska Airlines beinahe zur Katastrophe kam, geht bei Boeing so ziemlich alles schief. Wir haben eine Chronik der aufsehenerregendsten Vorfälle und Vorwürfe der vergangenen Monate zusammen gestellt:

5. Januar 2024: Bei einer fast neuen Boeing 737 Max 9 von Alaska Airlines bricht auf Flug 1282 von Portland nach Ontario in Kalifornien kurz nach dem Start in knapp 5000 Meter Höhe ein Rumpffragment bei der Sitzreihe 26 heraus. Dort klafft nun ein metergroßes Loch. Durch einen glücklichen Zufall sind die beiden Sitze in der Nähe des Lochs leer geblieben. Die mehr als 170 Menschen an Bord kommen mit dem Schrecken davon. Später stellt sich heraus: Offenbar fehlten vier Befestigungsbolzen an dem Rumpfteil.

11. Januar: Auf dem Flug einer Boeing 737-800 der japanischen Gesellschaft ANA von Sapporo nach Toyama reißt kurz nach dem Start der Maschine eine co*ckpitscheibe. Die Piloten drehen um und landen sicher. Niemand wird verletzt.

20. Januar: Bei einer Boeing 757-200 der US-Linie Delta, die nach Bogotá in Kolumbien fliegen soll, fällt vor dem Start in Atlanta auf dem Flughafen das Vorderrad ab.

4. März: Auf einem US-Inlandsflug von United Airlines von Houston nach Fort Myers schlagen wenige Minuten nach dem Start Flammen aus einem Triebwerk der Boeing 737-900. Die Piloten kehren um und landen sicher. Laut United könnte eine eingesaugte Luftpolsterfolie Ursache des Feuers gewesen sein.

7. März: Eine Boeing 777 von United Airlines nach Osaka verliert kurz nach dem Start in San Francisco ein Rad – das zu Boden fällt und mehrere Autos auf einem Parkplatz beschädigt. Die Maschine landet sicher in Los Angeles.

Boeing: Ein rabenschwarzes Jahr – Pleiten, Pech und Pannen (1)

11. März: Der Whistleblower John Barnett wird tot in seinem Auto auf dem Parkplatz eines Hotels in Charleston, South Carolina aufgefunden. Er starb an Schussverletzungen. Barnett arbeitete bei Boeing als Qualitätsmanager und hatte den Konzern immer wieder für Produktionsprobleme öffentlich kritisiert. Er war bereits vor Gericht in Charleston befragt worden und sollte nun wieder angehört werden. Polizeiliche Ermittlungen ergaben, dass Barnett sich selbst tötete.

11. März: Die »New York Times« veröffentlicht einen Bericht, wonach Boeing bei umfangreichen Sicherheitsprüfungen der US-Luftfahrtbehörde FAA bei mehr als einem Drittel der Tests durchgefallen ist. Bei der Untersuchung des Produktionsprozesses für das Modell 737 Max habe der Konzern 33 von 89 Tests nicht bestanden.

11. März: Auf einem Latam-Airlines-Flug vom australischen Sydney ins neuseeländische Auckland sackt eine Boeing 787–9 Dreamliner plötzlich ab, Passagiere werden durch die Kabine geschleudert, rund 50 Menschen verletzt. Der Vorfall sorgt für großes Aufsehen. Vieles deutet mittlerweile jedoch darauf hin, dass eine Flugbegleiterin versehentlich einen Schalter am Pilotensitz betätigte – was dazu führte, dass dieser Sitz sich so stark verstellte, dass der Pilot in seine Instrumente gedrückt wurde.

13. März: Auf dem Weg von Sydney nach San Francisco bemerken Piloten einer Boeing 777 von United Airlines nach etwa zwei Stunden, dass der Jet Hydraulikflüssigkeit verliert. Sie drehen um und landen sicher.

15. März: Eine United-Boeing 737 startet in San Francisco und landet sicher in Medford, Oregon. Dort allerdings stellt sich heraus, dass die Maschine im Flug ein Teil der Außenverkleidung verloren hat.

25. März: Boeing-Chef Dave Calhoun gibt bekannt, er werde zum Jahresende 2024 zurücktreten. Verwaltungsratschef Larry Kellner und der Chef der Verkehrsflugzeugsparte, Stan Deal, räumen schon früher ihren Posten.

Mehr zum Thema

  • Abgang von Boeing-Chef Calhoun: »Der beste CEO, den Airbus je hatte«Von Ines Zöttl, Washington

  • Toter Ex-Mitarbeiter: Wer war der Boeing-Whistleblower John Barnett?Von Gerald Traufetter

7. April: Eine Boeing 737-800 von Southwest Airlines muss auf dem Weg von Denver nach Houston umkehren. Ein Teil der Triebwerksverkleidung hat sich beim Start gelöst und eine Flügelkappe getroffen.

16. April: Der Boeing-Ingenieur Sam Salehpour warnt vor dem US-Senat, Boeing müsse sämtliche Jets seiner Modellserie 787 Dreamliner weltweit aus dem Verkehr ziehen. Sie könnten wegen Lücken zwischen Teilen des Rumpfs vorzeitig ausfallen. Er sei von Boeing mit Vergeltungsmaßnahmen konfrontiert worden, nachdem er Bedenken angesprochen habe, sagt Salehpour. Boeing widerspricht, die Behauptungen über den 787 seien unzutreffend. Vergeltungsmaßnahmen würden nicht geduldet.

Boeing: Ein rabenschwarzes Jahr – Pleiten, Pech und Pannen (6)

6. Mai: Die Luftfahrtbehörde FAA leitet eine Untersuchung gegen Boeing ein. Im Raum steht der Verdacht, dass bei einigen Maschinen des Typs Boeing 787 Dreamliner die Verbindungsstellen zwischen Rumpf und Tragflächen nicht überprüft wurden, obwohl dies in den Dokumenten als erledigt vermerkt worden sei. Fraglich ist laut FAA unter anderem, ob Mitarbeitende möglicherweise Prüfungsunterlagen gefälscht haben.

8. Mai: Eine Boeing 767 des Logistikkonzerns FedEx landet am Istanbuler Flughafen nach Problemen am vorderen Fahrwerk auf dem Rumpf. Niemand wird verletzt.

9. Mai: Auf einem Flug der türkischen Linie Corendon Airlines von Köln/Bonn in den türkischen Badeort Alanya platzt bei der Landung der Boeing 737 ein Vorderreifen. Die Maschine landet sicher auf dem Bugfahrwerk. Die 190 Menschen an Bord werden evakuiert. Niemand kommt körperlich zu Schaden.

Mehr zum Thema

  • Whistleblower unter Druck: Der Boeing-Ingenieur, der zu viel wussteVon Gerald Traufetter

  • Boeing-Krise: Wie man einen Flugzeugriesen ruiniertVon Simon Book, Marco Evers und Gerald Traufetter

  • Pannenserie beim US-Flugzeugbauer: Wie sicher sind Flüge mit Boeing-Jets?Von Niklas Marienhagen und Claus Hecking (Text)

9. Mai: Eine von der Fluggesellschaft Air Senegal gecharterte Boeing 737 kommt beim Start auf dem Internationalen Flughafen Dakar am frühen Donnerstagmorgen von der Startbahn ab. Sie sollte Malis Hauptstadt Bamako anfliegen. Die Maschine fängt kurzzeitig Feuer; die 85 Reisenden werden evakuiert. Bei dem Zwischenfall werden elf Menschen verletzt, vier von ihnen schwer. Ursache ist offenbar ein Hydraulikfehler. Das Flugzeug ist schon rund 30 Jahre alt.

10. Mai: Der langjährige Boeing-Ingenieur Martin Bickeböller wirft dem Konzern in einem Bericht des SPIEGEL vor, Mängel in der Produktion der 787 Dreamliner über Jahre hinweg nicht abgestellt zu haben. Unter anderem sollen Zehntausende Teile in der Frontsektion der 787 verbaut worden sein ohne Nachweis, dass sie auch den Eigenschaften in der Zulassung entsprechen. Bickeböller hatte bereits zuvor Vorwürfe gegen Boeing erhoben, die US-Luftfahrtbehörde FAA hatte Bickeböllers Erkenntnisse mehrfach bestätigt. Boeing weist mehrere der von Bickeböller neu erhobenen Vorwürfe zurück.

Boeing: Ein rabenschwarzes Jahr – Pleiten, Pech und Pannen (13)

25. Mai: Eine Boeing 737 Max 8 gerät auf einem Linienflug der Southwest Airlines von Phoenix, Arizona nach Oakland, Kalifornien in rund 10.000 Meter Höhe ins Taumeln (»Dutch Roll«). Die Piloten können die Kontrolle über den Jet wiedererlangen und ihn sicher landen. Laut der US-Behörde für Transportsicherheit werden jedoch bei der Inspektion Schäden an strukturellen Komponenten festgestellt.

14. Juni: Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet unter Berufung auf Insider, dass bei Boeing Mängel an noch nicht ausgelieferten Maschinen des Modells 787 Dreamliner entdeckt wurden. Demnach seien mehr als 900 Befestigungselemente pro Flugzeug fehlerhaft angebracht worden. Die amerikanische Flugaufsichtsbehörde FAA teilt mit, dass Boeing möglicherweise »unsachgemäß installierte Rumpfbefestigungselemente an einigen 787«-Jets verwendet habe.

So sehr sich die Nachrichten häufen: nicht immer waren Konstruktionsmängel oder Fehler von Boeing die Ursache. Auch bei Airbus-Jets kommt es immer mal wieder zu Zwischenfällen – wenngleich diese zuletzt nicht so spektakulär waren wie etwa das herausgebrochene Rumpfteil bei der Alaska-Airlines-Boeing.

Wichtiger noch: Über die Jahre ist die Zahl der tödlichen Unfälle und Totalschäden bei Passagierjets mit westlichem Sicherheitsstandard tendenziell gesunken. Und das, obwohl heutzutage viel mehr geflogen wird.

Fliegen ist immer sicherer geworden, ungeachtet der schwarzen Serie von Boeing.

Boeing: Ein rabenschwarzes Jahr – Pleiten, Pech und Pannen (2024)

References

Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Gov. Deandrea McKenzie

Last Updated:

Views: 5982

Rating: 4.6 / 5 (66 voted)

Reviews: 81% of readers found this page helpful

Author information

Name: Gov. Deandrea McKenzie

Birthday: 2001-01-17

Address: Suite 769 2454 Marsha Coves, Debbieton, MS 95002

Phone: +813077629322

Job: Real-Estate Executive

Hobby: Archery, Metal detecting, Kitesurfing, Genealogy, Kitesurfing, Calligraphy, Roller skating

Introduction: My name is Gov. Deandrea McKenzie, I am a spotless, clean, glamorous, sparkling, adventurous, nice, brainy person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.